31. Juli 2013

PAULETTE

Jérôme Enrico  (Frankreich, 2013)
Man muss zuallererst zugeben, dass der Regisseur mit Bernadette Lafont einen verlockenden Köder für den Zuschauer auslegt. Die Schauspielerin hatte vor einigen Jahrzehnten als junge Frau bei Leuten wie Truffaut, Chabrol und Rivette angefangen und war damit sogar bei der Geburt der französischen Nouvelle Vague zugegen. Sie lebt immer noch, ist bester Gesundheit und hat auch im hohen Alter genug Ausstrahlung, um in Enricos Film die Paulette zu verkörpern.
Diese hat schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, trauert ihrem verstorbenen Ehemann nach und fristet ihr Dasein großteils isoliert in einer längst unbezahlten Mietwohnung. Die Schulden häufen sich an, die Behörden klopfen an die Tür und Paulette ist zu all dem ein verbitterter, griesgrämiger Charakter mit deutlich ausgeprägter Tendenz zur Fremdenfeindlichkeit. Dass der kleine Sohn ihrer Tochter, auf den sie öfters aufpassen muss, auch noch schwarz ist, macht die Sache für beide Parteien nicht gerade einfacher. Paulettes rassistische Äußerungen bekommt ihr Enkel dann auch direkt ins Gesicht geschleudert. Sie macht  jedoch auch keinen Halt vor nicht-farbigen Mitbürgern, so bald sie ihr auf irgendeine Weise im Wege stehen und beleidigt sie ebenso mit verletzenden Bemerkungen.
Man muss diese Figur zuerst von allen ihren fiesen Seiten beleuchten, weil sie leider zu einem grundlegenden Problem dieses Filmes führen. Wenn nämlich Paulette irgendwann damit anfängt, als Dealer zu arbeiten und in der Umgebung als Drogen-Oma bekannt wird, hat dieser filmische Einfall leider nur noch halb so viel Kraft und Witz, wie er eigentlich haben könnte. Es fehlt der Kontrast zwischen einer „herkömmlichen“ Oma, wie wir sie alle kennen und dem plötzlichen Wandel zu einer durch und durch kriminellen Senior-Femme Fatale, die vor nichts zurückschreckt, um an Geld heranzukommen und erst dann von Gewissensbissen eingeholt wird, sobald unschuldige Schulkinder als potenzielle Kunden herhalten sollen. Der Charakter erlebt keinen krassen Bruch oder plötzlichen Wandel, sondern rutscht immer tiefer hinab, um am Ende einsichtiger zu werden. Was ja nicht verkehrt wäre, wenn der Film keine komödiantischen Absichten hätte. Der Schock ist zu gering, weil die Figur zu kontrastarm ist. Dafür drängt sich das Fremdenfeindliche in zu vielen Phrasen und aufdringlichen Gags auf.
Es bleibt bei einer netten Zwischendurch-Komödie und zumindest bekommt man Hunger auf Backwaren. (Genügt ruhig auch ohne bewusstseinsverändernde Zutaten).

30. Juli 2013

IMMER ÄRGER MIT HARRY

Alfred Hitchcock  (USA, 1955)
Hier haben wir das ewige schwarze Schaf unter den Hitchcock-Filmen, weil es sich so schwer in sein Gesamtwerk einordnen lässt. Selbst solch großen Männer wie Chabrol und Rivette waren verwirrt, als sie in ihrem Hitchcock-Buch versucht haben, den Film und ihren Lieblingsregisseur zu retten, in dem sie sich auf die poetische Aussagekraft der ländlich-herbstlichen Idylle stützten.
So blöd ist der Film aber gar nicht, wenn man ihn nach Jahren wiedersieht. Natürlich hat er seine Originalität der markanten Jahreszeit zu verdanken, der sonnigen Landschaften, der frischen Luft und dem goldenen Laub. Wo Hitchcock sonst so gerne seine Opfer im Tumult großer Städte bluten lässt, nutzt er hier gerade jenen Kontrast der ausgewogenen Idylle, in die er seine Leiche hinlegt. Und sie blutet noch nicht mal. Zumindest kaum.
Harry ist ein von Anfang an passiver Filmcharakter, ein liegendes Geheimnis, von dem man erstmal nichts weiß, über den verschiedene Kleinstadtbewohner buchstäblich stolpern, weil er da am Waldrand im toten Zustand einfach nur herumliegt. Harry ist beinahe schon mehr Gegenstand als Mensch. Er ist allen bloß im Wege und wird einmal vergraben, um im nächsten Moment wieder ausgebuddelt zu werden. Er ist aber auch das Bindestück zwischen den einzelnen Figuren und der Auslöser für allerlei Geheimniskrämereien, die langsam aber sicher ausgeplaudert werden. Er lässt die Dorfbewohner über sich selbst grübeln, denn plötzlich fühlt sich jeder aus einem ganz persönlichen Grund für Harrys Tod verantwortlich. Er ist nicht nur die Leiche im Wald, sondern auch die Leiche im Keller.
Und der Film wird durchgehend von seiner Gemütlichkeit getragen, seinem bösen Humor, der ihn tatsächlich zum "englischsten" von Hitchcocks amerikanischen Filmen macht, wenn etwa der kleine Sohn von Jennifer (Shirley MacLaine in ihrer ersten Rolle!) ein totes Kaninchen als Tauschgegenstand für Süßkram einsetzt, oder wenn man die Harry-Leiche einfach nur liegen sieht, mit ihren bunten Socken an den Füßen, weil die Schuhe längst von einem Landstreicher entwendet wurden.
Eine Kleinstadt-Groteske, oder ein Kammerspiel unter freiem Himmel und damit vielleicht jener Hitchcock-Film, der durch seine formale und inhaltliche Reduktion am deutlichsten an den Theatertüren anklopft.

29. Juli 2013

ENDLOS IST DIE PRÄRIE

Elia Kazan  (USA, 1947)
Bevor Elia Kazan in den 50ern seine größten Filme ablieferte und damit zu den spannendsten Filmemachern dieser Zeit avancierte, drehte er er doch tatsächlich Ende der 40er eine Art Western mit dem altbewährten Duo Katharine Hepburn & Spencer Tracy. Die Bilder sind groß, die thematischen Absichten noch größer und man erhofft sich am Anfang so Einiges.
Tracy spielt hier den Viehbaron Brewton und Besitzer endlosen Weidelands, das er hartnäckig von neuen Siedlern verteidigt, die in Planwagen über das Land ziehen, um sich in den fruchtbaren Gebieten niederzulassen. Die Prärie soll auch Prärie bleiben, erklärt er uns und seiner Liebsten, während der Wind pfeift und sie in die Ferne blicken. Würden die Farmer erstmal ihr Werkzeug in den Boden rammen, wäre die Katastrophe ausgelöst und das Land aufgerissen wie eine tiefe Wunde.
Der Film beginnt mit der Ankunft von Lutie (Hepburn), mit der sich Brewton gerade frisch vermählt hat. Sie ist ein verwöhntes Großstadtkind und ahnt nicht, welche Lebensbedienungen sie auf dem öden Weideland erwarten. Die unerbittlichen Umstände, sowie Brewtons hemmungsloser Kampf gegen die Siedler führt schließlich zur Trennung der beiden Liebenden, wobei ein Sohn und eine Tochter zwischen den Elternteilen stehen. Der Sohn Paul (Robert Walker) ist jedoch das Resultat eines Seitensprungs von Lutie und dem Richter Chamberlain. Da er als Bastard beschimpft wird, entwickelt er sich eher zu einem schießwütigen, gewaltbereiten Raufbold, als dass er in die Fußstapfen seines ehrgeizigen Vaters treten würde.
Kazan fokussiert also bereits in diesem Film auf gekonnte Weise ein wirklich tragisches Ehe- und Familiendrama, entfernt sich damit von den gängigen Westernklischees und verschont uns vor unnötigem Revolverziehen und blutigen Indianerkämpfen. Schade bloß, dass ihm irgendwann die Spielzeit durch die Finger rinnt und er seine Figuren immer schneller altern lassen muss. Die eigentliche Tragik der Geschichte, bzw. die Entfernung der Figuren voneinander und ihre damit zusammenhängende Einsamkeit, verharmlosen beinahe zu einem trivialen Liebesmelodrama.
Wenn sich jedoch das endlose, schwarzweiße Gras im Winde biegt und später die Dürre das Land verwüstet, fühlt man sich wie bei Steinbeck und landet automatisch in der tragischen Dust Bowl-Periode Amerikas. Das sind dann auch die schönsten Momente in diesem Film.

DER SCHREI

Michelangelo Antonioni  (Italien, 1957)
Antonioni ist der Mann für karge Industrielandschaften, die oft als strenge Fabrikkonturen aus der italienischen Po-Ebene in die Höhe ragen. Er ist außerdem der Mann, der gerne die Zeit dehnt; er begleitet seine Figuren gerne während der gesamten Strecke, wenn sie von A nach B laufen sollen. Diese gedehnten "Spaziergänge" zur Selbstreflexion, gelingen ihm vielleicht nirgendwo so gut wie in "Der Schrei".
Hier wandern wir mit der tragischen Figur des Aldo (Steve Cochran) durch jene Gegend Italiens, die bis zum Horizont hin vollkommen flach bleibt und keinerlei Überraschungen oder Wendungen bereithält, die sich etwa hinter einem Berg oder Waldstück verstecken könnten. Der Handlungsort sagt dann auch schon alles über das Schicksal der Hauptfigur aus: so weit man blickt, gibt es keine Anzeichen auf eine Änderung oder einen Ausweg aus dieser endlosen Eintönigkeit.
Aldo verlässt zuallererst Irma (Alida Valli), mit der er eine Beziehung führte, bis sie eines Tages von dem Tod ihres Ehemannes erfährt und beschließt, auch mit Aldo Schluss zu machen. Aldo hat mit ihr eine gemeinsame Tochter Rosina, mit der er von nun an durch die Landschaft irrt. Beide landen bei seiner ehemaligen Liebe Elvia, die jedoch schnell wittert, dass Aldo sich bloß an ihrer Schulter ausheulen möchte. Vater und Tochter müssen auch diesen Ort hinter sich lassen und begegnet schließlich Virginia (Dorian Gray), die in dieser trostlosen Gegend eine Tankstelle betreibt. Als sich die beiden näher kommen, kann seine Tochter die neue Frau in den Armen ihres Vaters nicht akzeptieren. Aldo schickt daraufhin die kleine Rosina mit dem nächsten Bus zurück zu ihrer Mutter. An dieser Stelle haben wir auch eine der dramatischsten Szenen, wie der Vater dem davonfahrenden Bus hinterherläuft und seiner Tochter bessere, gemeinsame Zeiten verspricht. Mit Virginia sieht er jedoch auch keine Zukunft und verlässt sie kurzerhand, um anschließend bei der Prostituierten Andreina (Lynn Shaw) anzuklopfen, die er ebenso schnell wieder alleine zurücklässt. Aldo irrt dann nur noch weiter, bis er sogar an Orten aus seiner Vergangenheit wieder angelangt, wo Geborgenheit und Liebe ebenso wenig vorzufinden sind.
Dieses großartige Frühwerk von Antonioni ist eine Art Spätzünder des italienischen Neorealismo; er stürzt sich zwar auch auf die Problematik eines ziellos umherstreuendes Individuums, doch die Gründe sind nicht mehr offensichtlich den Folgen der harten Kriegszeit zuzuschreiben und der Regisseur geht auch weit über den simplen Existenzialismus hinaus, weil er das Portrait eines Mannes zeichnet, der in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen versagt, als er bei dem Versuch, bei einer Frau den erhofften Halt zu finden, lediglich in die Einsamkeit getrieben wird.

23. Juli 2013

SCHUHPUTZER

Vittorio de Sica  (Italien, 1946)
Auf der Hintergrundkulisse der zerbombten Stadt Rom, die sich langsam vom Zweiten Weltkrieg erholen möchte, lernen wir zuallererst die beiden Schuhputzer Pasquale (Franco Interlenghi, war später  in Fellinis „Müßiggänger“ zu sehen) und Giuseppe (Rinaldo Smordoni) kennen, wie sie sich mit kleinen Tricks in dieser tonnenschweren Nachkriegszeit über Wasser halten und wie sie dann plötzlich hinter Gittern landen, als sie bei dem Versuch, eine Wahrsagerin hinterlistig auszurauben, von der Polizei geschnappt werden. Die beiden Jungen sind also selbst dafür verantwortlich, dass wir mit ihnen zusammen das vertraute Terrain der Trümmerstädte verlassen und uns für den Rest des Films in einem Jugendgefängnis befinden.
Eigentlich träumten die Jungs immer davon, sich ein eigenes Pferd kaufen zu können, dieser Traum zerplatzt dann aber schnell in dem kargen Gemäuer dieses von Lausbuben überfüllten Ortes. Die Beiden werden von einander getrennt eingekerkert und ihre Freundschaft beginnt zu bröckeln, vor allem als der Polizeichef beide aufeinander aufhetzt. Mit hinterlistigen Knast-Methoden gelingt es ihm nämlich einen von ihnen zum Reden zu bringen und weitere Beteiligte an der Straftat zu verpfeifen. Schließlich bekommen die Jungen ihre mehrjährige Haftstrafe, doch bevor sie ihr Schicksal hinnehmen, wagen sie einen Ausbruch und lösen dabei einen kompletten Gefängnisaufstand aus, bei dem Feuer und Flammen eine entscheidende Rolle spielen.
"Schuhputzer" ist mittlerweile nicht nur ein recht seltener Film, sondern auch jenes Werk, das wie kaum ein anderes Neorealismo-Mitstreiter durch seinen vollständigen Wechsel des Handlungsortes den Anschein erweckt, plötzlich auch das Genre zu wechseln. Während in anderen Filmen dieser Gattung zwar kriegsmüde aber dennoch sich frei bewegende Menschen umherstreuen, schafft es de Sica seine Hauptfiguren in der Friedenszeit schnell wieder in Käfige zu stecken. Man kann den Film vielleicht auch als Konsequenz dessen betrachten, was in einem Film wie „Fahrraddiebe“ angedeutet wird: Der falsch gewählte Weg, bzw. der verbrecherische Zwang. (Der ausgeraubte Familienvater wird am Ende selbst zum Dieb) Und die „Schutzputzer“ bekommen die Folgen dieses kriminellen Seitenweges zu spüren.

22. Juli 2013

ROM, OFFENE STADT

Roberto Rossellini  (Italien, 1945)
Rossellinis Eröffnungsfilm zu seiner Trilogie (die ich momentan blöderweise in unlogischer Reihenfolge schaue) und gleichzeitig das Kernstück des Neorealismo, wenn auch etwas überschätzt und bei Weitem nicht so schön, wie etwa De Sicas "Fahrraddiebe".
Rossellini erzählt vom besetzten Rom, im Sommer 1943, als sich verschiedene Gruppierungen aus Kommunisten, Sozialisten und sogar ein Priester zum Widerstand gegen die Nazis und die italienischen Faschisten verbündet haben. Die Sperrstunde beherrscht das Kommen und Gehen von allen Beteiligten und der Gestapo-Kommandeur Bergmann (Harry Feist) erschwert zusätzlich durch seine Spionage-Aktionen, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen das Bestreben der Wiederständer, sich aus den Fängen der Besatzer loszulösen.
Natürlich gibt es hier die großartige, ewig zitierte Szene, wie die Nazis eine Razzia vornehmen und den politisch verdächtigen Francesco verhaften. Er ist gleichzeitig der Verlobte von Pina (Anna Magnani), was zu dem dramatischen Moment führt, wie sie ihrem Geliebten flehend hinterherläuft, seinen Namen ruft während man ihn abführt, und wie sie mitten auf der Straße erschossen und gekonnt von der Kamera erfasst wird, während die Dramaturgie auch in der Musik anschwellt. Sie fällt, ihr Kleid rutscht hoch; Leben, Tod & Erotik für kurze vereint. Rossellini und seine leicht wackelnde Kamera. Der Moment wird zwar nahe heranholt, aber dennoch aus größerer Entfernung gefilmt; der Regisseur gehört bloß zur gaffenden Menschenmenge am Straßenrand.
Die Bilder sind wieder mal zum Greifen nahe und wir haben zumindest in dieser Szene den Realismus in vollendeter Form, doch der Film besteht nicht nur aus diesem einzigen filmischen Moment, der in gewisser Weise eh entkräftet wird, weil er mit einer anderen Szene zusammentrifft, die den Film ins Klamaukige überschwenkt: der kranke Großvater, der sich bei einer Hausdurchsuchung weigert, einen Toten zu spielen und vom Priester mit einer Bratpfanne bewusstlos geschlagen werden muss.
Don Pietro Pellegrini bleibt ohnehin die Figur, die man am meisten ins Herz schließen möchte. Er ist der allzeit beschützende und Trost spendende Geist, der am Ende doch nichts ausrichten kann und in der schockierenden Schlussszene exekutiert wird.
Unvergesslich bleibt noch die starke Dialog- bzw. Monolog-Sequenz, als sich ein deutschen Offizier in Anwesenheit anderer hoher Nazi-Tiere kritisch über die deutsche Herren-Rasse äußert, weil der Deutsche als Verantwortlicher für den Weltkrieg in ganz Europa sowieso bloß gehasst werden kann.
Trotz ergreifender Einzelschicksale und zwischenmenschlicher Tragödien, erweckt der Film dennoch den Anschein, dass viel zu viele Uniformierte, das Geschehen beherrschen, die mit verdächtigem Blick an ihren Schreibtischen sitzen. "Rom, offene Stadt" bleibt daher irgendwie ein kühles und strenges Werk, oftmals viel mehr ein unmittelbares Zeugnis der Kriegszeit, als das, was er vielleicht wirklich sein möchte.

18. Juli 2013

BITTER REIS

Giuseppe De Santis  (Italien, 1949)
Bei De Santis' "Bitterer Reis" fragt man sich ernsthaft, ob dieser Film wirklich in den gleichen Sack mit den restlichen Neorealismo-Filmen gesteckt werden kann, weil er zwar durch den Fokus auf die beschwerliche Arbeit auf dem Reisfeld an existenziellen Fragen rüttelt, sich aber letztendlich mit einer klassischen Gaunergeschichte abgeben muss.
Es ist nämlich so: Wir verfolgen hier den Juwelendieb Walter (Vittorio Gassman), der mit seiner Freundin Francesca (Doris Dowling) auf der Flucht vor dem Gesetz ist und ihr im heiklen Moment die Beute zusteckt, damit sie sich unauffällig unter die Reis-Arbeiterinnen mischt, die gerade mit dem Zug zu den Reisfeldern in der Po-Ebene abfahren. Die berühmteste Szene offenbart sich dann auch schon gleich zu Beginn, wenn eine der Arbeiterinnen, Silvana (Silvana Mangano) draußen zu ihrer vom Grammophon spielenden Boogie Woogie-Schallplatte tanzt. Sie ist diejenige unter all den anderen jungen Frauen, die nach außen hin zeigt, wie satt sie dieses von Armut und harter Arbeit geprägte Leben hat, sich lieber vergnügt und von glanzvollen, wenn auch kaum erreichbaren Zeiten träumt. Sie durchschaut auch rasch die Pläne von Francesca, die sich mit den anderen Frauen solidarisiert hat. Um die klassische Vierer-Runde abzuschließen kommt noch der Unteroffizier Marco (Raf Vallone) hinzu. Die vier Herzen pochen dann natürlich in entgegengesetzte Richtungen, so dass die gute, alte Eifersucht alle einholt und nicht nur zum gegenseitigen Haareraufen zwischen den beiden Frauen führt, sondern vor allem zu einem blutdurchtränkten Showdown im Schlachthaus.
Da haben wir auch schon den erwähnten Genre-Wirrwarr: einerseits beleuchtet der Film die harte Existenz draußen auf dem Reisfeld, wo die Mondinas ihre Kleider hochraffen (was durch den damaligen Blick auf zahlreiche Oberschenkel zum kleinen Skandal führte!) und nur singend ihren Frust und ihre Beschwerden loswerden dürfen (tolle Szenen!). Auf der anderen Seite drängt sich ständig der Hollywood'sche Gangster-Thriller dazwischen, wo es um Macht, Habgier und Eifersüchteleien geht. Was ja den Film nicht schlechter macht, bloß rutscht der erwartete Realismus oft in die andere Richtung zur Hintergrundkulisse, um dem Sensationsgehalt der verbrecherischen Intrigen Platz zu machen.
Silvana Mangano bleibt dennoch unschlagbar. Trotz unrasierter Achseln bei den zahlreichen Tanzszenen.

16. Juli 2013

DEUTSCHLAND IM JAHRE NULL

Roberto Rossellini  (Italien, 1948)
Bevor dieser Film das Licht der Leinwände erblickte, gab es bereits mit "Rom, offene Stadt" und "Paisà" zwei Vorläufer von Rossellinis sogenannter Kriegs-Trilogie, deswegen ist es auch etwas unsinnig, das Pferd von hinten aufzuzäumen, aber nun ist es zu spät und sein Berlin-Film wurde kürzlich als erstes (wieder)gesichtet.
Der italienische Neorealismus will sich bekanntlich ungern mit dem Genre des Trümmerfilms auf eine Ebene stellen, aber "Deutschland im Jahre Null" ist nun mal beides: er ist ein Rossellini-Film, eine italienische Produktion und erzählt in Bildern, die zum Greifen nahe sind, vom Menschsein nach dem Krieg, was ihn automatisch zum Neorealismus hinüberhievt. Da Rossellini das zerbombte Berlin zu seiner Kulisse macht und lauter deutsche Darsteller sogar im O-Ton sprechen lässt, wird der Film aber auch automatisch zum typischen Trümmerfilm, wie man sie zur damaligen Zeit gerne in Deutschland drehte.
Aber weshalb überhaupt an so etwas trivialem wie am Genre zweifeln? Lieber gleich paar Worte zum Inhalt verlieren. In Mitten all dieser architektonischen und menschlichen Trümmer lernen wir den kleinen Edmund kennen. Er ist so etwas wie das Sinnbild für die gescheiterte Vorzeigegeneration des Dritten Reichs, der einst zu Deutschlands junger Hoffnung für eine glorreiche Zukunft dazugehörte und nun zwischen verfallenem Gemäuer herumlaufen muss. Edmund ist außerdem Laufbursche, der alles regelt und regeln muss und sämtliche Figuren dieser Geschichte miteinander vereint. Er wird mit Tauschgütern zum Schwarzmarkt geschickt, soll von seinem ehemaligen (und leider pädophilen) Lehrer eine Schallplatte mit Hitler-Geplapper den Alliierten verhökern und letztendlich ist er auch derjenige, der seinen eigenen Vater in dessen Sterbebett vergiftet, weil sich schon mehrere Hausbewohner seinen Tod längst herbeigesehnt haben. Da Edmund, diese Sünde mit sich trägt und ansonsten überall abgewiesen wird, irrt er irgendwann nur noch alleine durch die zerbombten Fassaden, bis einem tragischen Ausklang nichts mehr im Wege steht.
Rossellinis Film ist schon allein auf Grund seiner stark abgenutzten Kopie so authentisch wie er nur sein kann; die Bilder zerfallen selbst zu Asche und Staub und bei jedem Laut muss man die Ohren aufstellen, um ja keinen Satz in diesem O-Ton-Sumpf zu verpassen. Letztendlich bekommen wir durch einen pessimistischen Blick eingetrichtert, dass Deutschland noch lange Zeit brauchen wird, um sich von den Wirren des Krieges zu erholen und seine Städte von all dem Schutt aufzuräumen. Um so schwerer wird es die junge Generation haben, wenn sie sich von den Trümmern befreien und wieder auf die Beine stellen soll. Der Filmtitel erklärt ohnehin alles.

14. Juli 2013

IRIS

Richard Eyre  (Großbritannien, USA, 2001)
Biopics, die vorrangig Krankheitsstudie und Liebesgeschichte in sich vereinen, trifft man nicht alle Tage. Richard Eyre schaffte das mit Leichtigkeit, als er sich 2001 der anglo-irischen Schriftstellerin Iris Murdoch filmisch näherte, die vier Jahre nach Ausbruch ihrer Alzheimer Erkrankung verstarb.
Der Film klammert sich an die Beziehung von Iris (Judi Dench) und John Bayley (Jim Broadbent), eröffnet die Handlung mit den Vorbereitungen der Schriftstellerin zu ihrem neusten Buch, kann dies thematisch jedoch nicht zu Ende führen, weil Iris zu dieser Zeit erkrankt. Während sie mit Stift und Blättern an ihrem Schreibtisch sitzt, versucht sie auf einmal die Bedeutung des Wortes "Puzzle" zu enträtseln, das ihr plötzlich so fremd und ungreifbar erscheint. Von da an geht es bergab.
Der Regisseur arbeitet durchgehend mit zwei verschiedenen Zeitebenen; springt zwischen der enthusiastischen Jugendzeit, als sich Iris (hier: Kate Winslet) & John (hier: Hugh Bonneville) kennen- und lieben lernten, erzählt von dieser Phase mit farbenfroher Leichtigkeit und in schnellen Bilder bei ihren zahlreichen, gemeinsamen Fahrradfahrten, um im Gegenzug die Szenen der Gegenwart dazwischen zu schieben: Iris & John als altes Paar, in der Obhut ihrer Wohnung, die mit dem Fortschreiten der Krankheit zunehmend verwahrlost, weil Iris langsam psychisch und physisch verfällt und sich nicht mehr um solche Dinge kümmern kann, genauso wenig John, der alte Kauz, vom Alter selbst verwirrt, jedoch stets dicht an ihrer Seite.
Viel muss in diesem Film auch nicht passieren, weil er seine narrative Eleganz der cleveren, von Zeitsprüngen geprägten Montage zu verdanken hat. Das geht so weit, dass Vergangenes und Gegenwärtiges ineinandergreift und das Zeitvergehen umso deutlicher betont wird.
2 Figuren, von 4 guten Darstellern verkörpert. Allein das ist schon ein Kunststück, das diesen kleinen, tragischen Film sehenswert macht. Wir schauen einer langsam verlöschenden Flamme zu. Die Kreativität brennt zuerst aus, bevor die Lichter endgültig ausgehen.

11. Juli 2013

BERÜHRE NICHT DIE WEIßE FRAU

Marco Ferreri  (Frankreich, 1974)
Nach seinem größten kommerziellen Erfolg, bzw. dem Skandal um "Das große Fressen", versammelte Marco Ferreri ein Jahr später noch einmal die gleiche Schauspieler-Truppe (Marcello Mastroianni, Ugo Tognazzi, Michel Piccoli und Philippe Noiret) und vervollständigte sie noch durch die reizende Anwesenheit von Catherine Deneuve. Der filmische Unfug findet sich hier in einer noch gesteigerten Form, er provoziert bloß auf eine ganz andere Weise als zuvor beim "großen Fressen".
Ferreri wollte zu der Zeit unbedingt den Vietnamkrieg metaphorisch verarbeiten und näherte sich dieser großen Tragödie von einer ganz ausgefallenen Seite: Er rollte noch einmal die Geschichte der legendäre Schlacht am Little Big Horn auf, legt Mastroianni als General Custer eine lange Perücke auf den Kopf, setzt Piccoli als Buffalo Bill auf ein Pferd und steckt Alain Cuny in die Klamotten des Sioux-Häuptlings, Sitting Bull. Die historischen Kostüme sorgen jedoch für reichlich Verwirrung, weil Ferreri seinen Darstellern eine völlig moderne Kulisse entgegensetzt. Die sonst so üblichen endlosen Weiten der Prärie ist hier nichts anderes als eine riesige Baugrube mitten in Paris der 70er Jahre, mit all den knatternden Maschinen, schwingenden Einreißbirnen und modernen Hausfassaden drumherum. Hier treffen also historische Soldatenstiefel auf Chucks und Mokassins auf High Heels. Und überall schaut Präsident Nixon vom aufgehängten oder aufgestellten Porträt, mit beobachtendem Blick.
Zuerst ist man verunsichert, aber irgendwann hat man als Zuschauer keine Wahl mehr, und muss geschlagen akzeptieren, dass in diesem Film einfach nichts unmöglich ist und er sämtliche Regeln der historischen Logik und optischer Konsequenz mit Leichtigkeit durchbricht. Selbst wenn man sich diesem Film schriftlich nähern will, vergisst man auf den Inhalt einzugehen, so dominant präsentiert er sich von seiner visuellen Seite.
Man könnte dennoch einen kompakten Versuch starten und die Handlung aus dem optischen Dickicht befreien: General Custer wird von Politikern dazu beauftragt, das Volk der Indianer endgültig zu vernichten, die Aufgabe erweist sich aber schwieriger als gedacht, weil ihm zum Einen Buffalo Bill die Show stiehlt und er natürlich auch längst einen lüsternen Blick auf Catherine Deneuve geworfen hat. Custer kann also in all seiner Eitelkeit bloß weiterhin seine lange Haarpracht im Spiegel betrachten, während er zwischen all den kriegerischen und menschlichen Verpflichtungen hin- und hergerissen ist.
Ob das dann noch ein guter Film ist; diese Frage könnte man sich unter Umständen noch stellen. Verrückt und konfus ist er, erinnert in seiner Absurdität an Monty Pythons Albernheiten, wenn die Briten versucht haben, Stile und Welten satirisch zu vermischen. Letztendlich wird er aber dadurch auch ermüdend und ein schnelles Opfer des klassischen Problems, wenn Form über den Inhalt hinauswächst. Zu viel ist eben zu viel. Sehenswert bleibt er dennoch, alleine schon weil man hier so viele bekannte Gesichter in ihren vielleicht merkwürdigsten Rollen wiederfindet.

9. Juli 2013

FAHRRADDIEBE

Vittorio de Sica  (Italien, 1948)
Herrlich, mal wieder so etwas zu sehen. Bringt einen direkt auf die Idee, die ganzen Neorealismo-Klassiker wieder auszupacken. Kaum ein Film eignet sich für die Eröffnung einer solchen filmischen Phase, wie de Sicas „Fahrraddiebe“.
Holen wir erstmal die Geschichte wieder ins Bewusstsein: Antonio lebt mit seiner Familie in Rom und bekommt nach längerer Zeit endlich wieder Arbeit als Plakatkleber. Ein Beruf, der jedoch den Besitz und Einsatz eines Fahrrads voraussetzt. Antonio musste sein altes Gefährt verpfänden und weil er auf keinen Fall auf das Jobangebot verzichten möchte, begibt er sich mit seiner Frau erneut zum Pfandleiher, wo sie mit ihrer einzigen Bettwäsche Abschied nehmen, um im Gegenzug das Geld für ein Fahrrad zu investieren.
Und an dieser Stelle beginnt der eigentliche Film. Das schwarzweiße Rom der Nachkriegszeit, begleitet von Alessandro Cicogninis melodramatischer Musik. Wir sehen Antonio, wie er sein Fahrrad gegen eine Wand lehnt, zum Pinsel greift und das Rita Hayworth-Plakat an die Mauer pinselt. Die Diebe und Kleinkriminellen lauern schon und einer von ihnen entwendet schließlich das angelehnte Fahrrad, fährt schnell davon und Antonio kann ihm bloß für kurze Zeit hinterherlaufen, bis der Dieb in dem Gedränge und den vielen Straßen Roms verschwindet.
So schnell gibt der Familienvater jedoch nicht auf, der Job ist schließlich überlebenswichtig, wenn die Familie nicht verhungern soll. Den Rest des Filmes durchstreift er mit seinem kleinen Sohn Bruno das endlose Rom. Jedes Fahrrad und jeder Fahrradfahrer wird dabei genausten inspiziert, doch Italiens Ewige Stadt nimmt kein Ende und die Suche nach dem richtigen Rad wird zu einer hoffnungslosen, völlig absurden Odyssee und der entwendete Drahtesel zur berühmten Nadel im Heuhaufen. Es kommt schließlich wie es kommen soll, wenn es in einer großen Stadt von Fahrrädern nur so wimmelt: Antonio wird in all seiner Verzweiflung selbst zum Dieb.
De Sica erzählt hier von seiner Heimat kurz nach dem zweiten Weltkrieg, als die Arbeitslosigkeit überall grassierte und der Mensch jede geldbringende Tätigkeit annahm, um seine Familie ernähren zu können. Doch kühl und schonungslos ist sein Film bei Weitem nicht; der harte Existentialismus wird zu einem Märchen voller Wärme. Dafür sorgen die beiden Hauptfiguren, die sich immer zu ergänzen wissen. Wenn der Vater resigniert, mit gesenktem Haupt umherirrt, flitzt sein Sohn energisch zwischen den Säulenhallen und beschatteten Kanalpassagen. Damit wird er zur Symbolfigur seiner eigenen jungen Generation, die sich nach einer sicheren Zukunft sehnt, so dass ein neuer Lebenswille die beiden Suchenden immer weiter zu ihrem unsicheren Ziel vorantreibt.
Rom bleibt hier ein labyrinthisches Hindernis voller unbekannter Seitengassen, weil de Sica seine Kamera bewusst von allen Touristen-Klischees weghält.
Ein großer Film. Und das wird er auch immer bleiben.

8. Juli 2013

WILDWECHSEL

Rainer Werner Fassbinder  (Deutschland, 1973)
Dieser kleinbürgerliche Schreck von Fassbinder rüttelt man wieder an so manch einer deutschen Couch, um die damalige Mütter-und Väter-Generation auf den Boden knallen zu lassen.
Die 13jährige Hanni (Eva Mattes) und der 19jährige Franz (Harry Bear) lernen sich kennen und lieben. Das darf natürlich nicht passieren, weil der Vater zu Hause vor Wut kocht, weil er seine minderjährige Tochter an keinen dahergelaufenen Hilfsarbeiter verlieren möchte. Deswegen fliegt die Sache auch schnell auf und Franz landet für längere Zeit im Gefängnis. Nach seiner Entlassung geht das Drama jedoch weiter, weil keine Gitterstäbe dieser Welt diese Liebe verhindern können und die beiden Liebenden dazu treibt, sich heimlich an verlassenen Orten treffen zu müssen. Um das zu bewerkstelligen tischt Hanni ihren Eltern einen Haufen Lügen auf. Ihr Vater kriegt jedoch alles heraus, dafür muss er noch nicht einmal von seiner Couch aufstehen oder vom Suppenteller aufblicken; er droht seiner Tochter mit Polizei, Mord und Totschlag, wenn sie sich weiterhin mit Franz treffen sollte.
Fassbinder treibt seine beiden Protagonisten immer mehr in die Enge, wahre Gefühle sind vollkommen abgestumpft, Verzweiflung und Resignation beherrschen das Geschehen und verankern sich fest in der Gefühlswelt der Beiden. Der letzte Ausweg lässt sie schließlich zur Waffe greifen.
So ausweglos die Lage auch sein mag, so herzhaft kann man sich auch über die Figur des Vaters amüsieren, der einer vermummten Konserve gleich, seine festgefahrenen Ansichten predigt. Auch wenn er einen öfters voller Schrecken aufspringen lässt, wenn er etwa von der alten Nazizeit und ihrer Ordnung zu schwärmen anfängt und den Holocaust mit der Beschmutzung seiner Tochter aufwiegt.
Kommunikationsarmut und Unverständnis zweier Generationen, von denen die Ältere ratlos vor sich hingrübelt, was sie bloß falsch gemacht hat, während die andere zu rebellieren versucht, während der Weg in einer Sackgasse mündet. Und Fassbinder bleibt natürlich der richtige Mann für solche Scherereien.

7. Juli 2013

MEPHISTO

István Szabó  (Deutschland, Ungarn, 1981)
Da ist er endlich, der große "Mephisto", den man schon viel früher hätte sehen sollen, aber der Mensch kann nicht alles gucken, deswegen alles schön nacheinander.
István Szabós Klaus Mann-Verfilmung ist sein viel gelobter, großer Wurf und erzählt die Geschichte des Schauspielers Hendrik Höfgen zur Zeit des Nationalsozialismus. Höfgen wird von Klaus Maria Brandauer verkörpert, der diesen Film prägt wie sonst nichts und niemand; ein exzentrischer und selbstverliebter Überdarsteller, der die Idee für eine neue Form des Theaters hat, sie aber kaum umsetzen kann, weil er stets mit allen anderen Schauspielern kollidiert. Sein alles überschattendes Ego und die hohen Ansprüche, mit denen er sich an alle Projekte nähert, lassen alle restlichen Darsteller zu unbedeutenden Winzlingen schrumpfen.
Der Film thematisiert jene Zeit, als Hitler längst das Ruder übernahm, und Höfgen spricht sich zunächst deutlich gegen das NS-Regime aus, bis aus Deutschland das wird, was man aus Geschichtsbüchern und Erzählungen eben kennt und es kein Zurück mehr gibt. Man muss sich  fügen, wenn man als Mensch und Künstler noch weiter existieren will.
Von Hamburg geht es für ihn dann nach Berlin zum neuen Engagement, jedoch schon unter der Hakenkreuzfahne, wo er zwar große Erfolge feiern kann, aber zunehmend zur Marionette der NS-Regierung wird. Er fügt sich immer mehr, wird zum treuen Diener, lässt sich von den Machthabern herumkommandieren und fügt sich weiterhin, bis er ohne Freunde dasteht. Er ist eben Schauspieler und möchte es auch bleiben, den Erfolg und die vollen Theater genießen, in welchem Lichte er auch stehen und welche Art von Publikum er auch begeistern mag.
Dann kommt endlich die große Rolle des Faust'schen Mephisto, der Ministerpräsident ist begeistert und Höfgen rutscht immer weiter in den Nazi-Schlund hinab, rappelt sich aber stets durch die Einbildung auf, seine Kunst könnte sich dennoch von der Politik abgrenzen.
Irgendwann kommt er schließlich dahinter, dass er nur ein kleines Zahnrad in der riesigen Maschinerie des Dritten Reiches ist und dass er leicht zerquetscht und beseitigt werden kann, wenn er sich zu sehr einmischt oder gar Forderungen stellt. Er ist eben nur ein Schauspieler, wie schon seine letzten Filmworte verkünden, als er ins Rampenlicht des Berliner Olympiastadion geschoben wird.
Am Ende hat man dennoch das Gefühl, der Filme wäre ins Leere gelaufen, denn einerseits spitzt sich die Lage deutlich zu, die politischen und somit auch privaten Verhältnisse zwischen den Figuren werden immer angespannter und doch kreist die Handlung ständig um das Thema das angepassten Konformisten wider Willen, oder um das Künstlersein und die Bedeutung von Kunst während dieser Zeit, ohne sich jemals wirklich zu entladen und den filmischen und inhaltlichen Rahmen zu sprengen.
Vielleicht soll es aber auch genügen, Braundauer zuzuschauen, bzw. seiner tragischen Figur zu folgen. Seiner Rolle, die er in der Theaterwelt eben theatralisch und mit großen Gesten spielt und sich außerhalb auf der Lebensbühne unterwürfig zum kleinen Mann zusammenzieht.

4. Juli 2013

DIE VÖGEL

Alfred Hitchcock  (USA, 1963)
Dass man noch über solche Filme schreiben muss, die eh schon zu Tode gequatscht als plakative Ikonen und unvermeidliche Vorzeigeklassiker das Film-Terrain als Solches längst verlassen haben, um sich als Kulturphänomen auch in anderen Sphären breit zu machen... So was hätte man kaum für möglich gehalten, und doch ist es so: Dieser Film lief letztens wieder und man schaute wie gebannt wieder hin.
Hat man „Die Vögel“ seit langer Zeit nicht mehr gesehen, wird der Blick darauf ganz anders, wenn man sich zwischendurch mit Hitchcocks restlichen Gesamtwerk befasst hat, das vor Themenvielfalt und Ideenreichtum nur so überquillt. Gemessen an seinem Œuvre ist Hitchcocks Vogel-Thriller doch bloß ein Experiment oder Schabernack. Als Zuschauer ist man knapp zwei Stunden hin- und hergerissen zwischen einem apokalyptischen Animal-Horror, einer spröden Liebesgeschichte und einer aufdringlichen Charakterstudie, irgendwo zwischen geiernden Eifersüchteleien und einem Ödipus-Komplex, der einmal geleugnet wird, um im nächsten Gespräch, oder besser: dem nächsten Um-den-heißen-Brei-Gerede wieder bestätigt zu werden.
Die Frage bleibt am Ende natürlich: was wollen die Vögel überhaupt, oder was wollen wir von den Vögeln? Soll man es als Vergeltungsakt der vom Menschen ausgebeuteten Natur betrachten, wenn ganze Scharren von ihnen sich aggressiv auf die Schulkinder hinabstürzen und dem Nachbar die Augen herauspicken, oder nutzt der Regisseur all dieses Geflatter als Stimmungsbarometer für die persönliche Tragik und Entwicklung der Figuren und deren Probleme?
Metaphern mit Schnäbeln und Federn? Eigentlich will man das doch gar nicht, weil es ja unübersehbar ist, dass Hitchcock hier viel zu viele verschiedene Geschichten bündelt, statt lieber seine Figuren sparsamer mit Gefühlen und tiefgründigeren Lebensläufen auszuschmücken, um den Kampf zwischen Mensch und Tier in den Vordergrund zu stellen. Oder wäre das wieder zu einfach, zu oberflächlich zu sehr B-Movie? Aber das ist er ja eh schon mit seinen ständigen Rückprojektionen und Tippi Hedrens Erscheinen als das einer unsympathischen, pelztragenden Edel-Dame, deren makellose, streng sitzende Haarpracht wie dafür gemacht ist, um von Krähenschnäbeln verwüstet zu werden.
Dann ist es fast nicht mehr verwunderlich, wenn man am Ende feststellen darf, wie viele bessere Filme es von Hitchcock gibt.

3. Juli 2013

SCHNEE AM KILIMANDSCHARO

Henry King  (USA, 1952)
Ernest Hemingways Vorlage liegt nun so weit zurück, dass kaum noch eine Erinnerung an das Geschehen heranreicht. Schade, weil man dann noch mehr vergleichen und sich noch mehr ärgern könnte.
Gregory Peck ist jedenfalls der geschlagene Mann, den man mit einer Virusinfektion außer Gefecht gesetzt und ans Bett gefesselt hat, damit er als leidender Schriftsteller, Harry Street über sein bisheriges Leben grübeln kann. Und nicht nur grübeln, weil seine Frau Helen (Susan Hayward) ebenfalls in der afrikanischen Savanne an seiner Seite wacht und den von wirren Fieberträumen durchtränkten Geschichten lauschen darf.
Harry packt richtig aus und plaudert mit jammerndem Unterton von seinen Liebschaften aus jener Zeit, in der er die Welt als Schriftsteller nach Themen absuchte und spaltet damit den Film in einzelne Episoden auf. Sein Lebenswille schwindet dabei proportional zu seinem stets steigernden Verlangen nach einem gefüllten Glas Alkohol, während die winselnden Hyänen und krächzenden Aasgeier um sein Krankenlager schleichen und kreisen.
Harry schwelgt in Erinnerungen an verschiedenen Frauen, von denen jedoch keine an seine große Liebe Cynthia (Ava Gardner) heranreicht, an die er sein Leben lang unentwegt denken muss, weswegen seine jetzige Frau, Hellen enttäuscht in die Ferne blickt.
Zusätzlich beschäftigt ihn noch das Rätsel, welches er einst von seinem Onkel auf dessen Sterbebett als Geschenk bekommen hat: Weshalb liegt auf dem schneebedeckten Gipfel des Kilimandscharo ein Leoparden-Skelett? Wie kam das Tier dort hin und wie kam es um? Die Geschichte um die Schmusekatze lässt sich natürlich auf den Lebens- und Leidensweg des Schriftstellers projizieren, deswegen hat Harry noch mehr Grund zum Kopfzerbrechen.
Der Film kann (und muss) sich zu den für die 50er so typischen Afrika-Hollywood-Filmen dazugesellen und dieses Mal hat der schwarze Kontinent die Funktion einer seelischen Hintergrundkulisse, aber versteht es vor allem, seine Zuschauer mit peinlich unbeholfenen Rückprojektionen und kläglich reingesetzten Archivaufnahmen auf die Probe zu stellen.
Mag der Film nämlich in seinen Rückblenden noch überzeugend sein, wenn etwa Peck den verschiedenen Frauen in Hemingway'schen Worten seine Weltsicht und Lebensweise als Künstler zu erklären versucht, so lässt der Regisseur seine Darsteller schnell wieder wie Amateure aussehen, wenn er sie in die Archiv-Naturaufnahmen hineinmontiert, wo sie sich mit Archiv-Nilpferden und Archiv-Löwen herumschlagen müssen. Afrika dient dann nicht mehr der Metapher-Oberfläche zur erleuchtenden Selbstfindung, sondern wird zur bilderbuchartigen Kitschkulisse degradiert, vor der die tragischen Figuren zu Clowns umgewandelt werden.

2. Juli 2013

DER MIETER

Alfred Hitchcock  (Großbritannien, 1927)
Die Chronologie des Suspense-Urgroßvaters zurückzuverfolgen und irgendwann bei seinen britischen Stummfilmen einzutrudeln, ist natürlich etwas ganz Feines, denn nur die ganz Wenigen können voller Stolz auf ein Gesamtwerk zurückblicken, das vom Stummfilm bis hin zum farbigen Tonfilm reicht und diese lange Zeitspanne auch noch von so vielen Erfolgen geprägt ist.
Hitchcocks "Mieter" ist also die Geschichte vom Londoner Nebel, wie schon am Anfang verkündet wird, und neblig wird es hier zunehmend, je mysteriöser das Geschehen sich gestaltet. Der Rächer oder "Avenger", wie er selbst seine Tatorte signiert, ist ein vermummter Wüstling, der es auf blonde Frauen abgesehen hat. Ganz London zittert vor Angst, als sich die Nachricht in Windeseile in den Zeitungen verbreitet, auch wenn manch eine Dame sich darüber schmunzelnd dunkle Locken unter den Hut steckt, um nicht sofort als Blondine entlarvt zu werden.
Hitchcock verrät erstmal nichts über den Täter, sondern führt die Figur eines nicht minder mysteriösen Untermieters ein, der in ein Zimmer einzieht, das von einem älteren Ehepaar vermietet wird. Deren junge Tochter Daisy verfällt zunehmend dem geheimnisvollen (und viel zu aufdringlich geschminkten) Mann, wohingegen ihre alte Mutter misstrauisch sein nächtliches Kommen und Gehen beobachtet. Dazu gesellt sich noch Daisys Freund, ein Polizist, der den mordenden Rächer überführen soll und dem die Anwesenheit des Mieters ebenso verdächtig vorkommt.
Täter und Mieter scheinen also kaum noch voneinander trennbar zu sein; man wird beinahe selbst zum Schnüffler, aber kommt eh nicht dahinter, was sich der junge Hitchcock hier für die Auflösung ausgedacht hat.
Der Regisseur lernte zu der Zeit die deutschen Expressionisten kennen, was man auch auf Anhieb an allen schattigen Ecken und Gassen erkennt, denn es sind ganz offensichtlich deutsche Schatten, die hier Englands Metropole so herrlich schaurig einhüllen, wie man sie sonst bei den Herren Lang und Murnau vorfindet. Manchmal bekommen sie sogar symbolische Züge, wenn sie vom Fensterrahmen geworfen ein kreuzförmiges Abbild auf dem Gesicht des potenziellen Schurken aufmalen.
Trotz offensichtlicher Einflüsse, ist man hier aber immer noch (oder gar zum ersten Mal!) bei Hitchcock aufgehoben, weil die Figur eines zu Unrecht Beschuldigten öfters gerne seine Filme ziert. Selbst mit der angedeuteten, sich heranschleichenden Bedrohung während der Badeszene, könnte man einen großen Bogen zur legendären "Psycho"-Dusche schlagen.