13. Dezember 2009

ROTBART

Akira Kurosawa (Japan, 1965)
Bleibt weiterhin mein liebster Kurosawa. Erneut festgestellt.
Der junge Arzt Noboru Yasumoto wird im 19. Jh. nach seiner Ausbildung in ein ländliches Armenkrankenhaus versetzt, um dort Erfahrungen beim großen Dr. Kyojio Niide (T. Mifune) zu sammeln. Zuerst fällt ihm die Arbeit schwer, weil er auf Grund der harten Bedingungen ein völliges Neuland betritt.
Und es ist vielleicht Kurosawas humanster Film, weil die Probleme dieser Leute zu grundlegend und nah erscheinen. Kleine menschliche Episoden, ehrlich und kammerspielartig in ihrer Art und voller inhaltlicher Tragödien, wenn die Patienten von ihren Sorgen und den Wurzeln ihres Leidens berichten.
Beweise dafür gibt es genug; vor allem der Teil wo der junge Arzt das schwer misshandelte Mädchen in die Klinik aufnimmt, sie pflegt, ihr zeigt, was Vertrauen ist, einen Menschen aus ihr macht, schließlich selbst krank wird und wiederum von ihr gepflegt wird.
Wie schön ist es doch, wie sie ihm zuerst in ihrer Wut und aus Mangel an Vertrauen die Trinkschale aus der Hand schlägt, so dass sie zerbricht, und später in die Stadt betteln geht, nur um eine neue Schale kaufen zu können, welche sie aus Versehen vor Schreck fallen lässt, als er plötzlich vor ihr steht und sie merkt, dass er sie die ganze Zeit beobachtet hat.
Und Kurosawa inszeniert auf eine so herrlich reduzierte Weise, als wäre es ein Theaterstück: sowohl die Brücke auf der sie sich zum betteln setzt, als auch der kleine Laden, wo sie anschließend die neue Schale kauft... alles kulissenartig direkt beieinander, für den Zuschauer als Ganzes überschaubar, die Abhängigkeit der Orte, der Geschehnisse, der Personen, alles schließt sich zu einer zusammenhängenden Kette.
So gehören das Mädchen wie auch der kleine Junge, der vom Dach der Krankenhausküche den Brei aus dem Kochtopf klaut, zu den schönsten und tragischsten Kinderfiguren in der Filmgeschichte.
Dann gibt es noch den verbotenen Garten, in dem die „Gottesanbeterin“ in einem käfigähnlichen Haus isoliert ihr Dasein fristet. Eine ganz spezielle Patientin, die ihre männlichen Opfer verführt, tötet und angeblich aufisst. Natürlich kann sie im Verlauf der Geschichte entfliehen und trifft dann ausgerechnet auf den ahnungslosen jungen Arzt.
Und nicht zu vergessen die kleinen, geisterhaften, übernatürlichen Akzente, die man meistens bei Kurosawa findet. Wenn man nachts draußen hört, wie die Köchinnen in den Brunnen den Namen des kleinen Jungen rufen, um ihn vor dem Tod zu bewahren, weil er schließlich selbst auch im Krankenhaus im Sterben liegt, nachdem er mit seiner ganzen Familie Gift geschluckt hat.
Ein brillanter, vielschichtiger Film, ein Puzzle aus Schicksalen und ein tiefer Blick in unser Inneres. Ganz wie der dunkle Brunnen im Film, der ins Innere der Erde führt, wie es heißt.

5. Dezember 2009

DAS SCHLOSS IM SPINNWEBWALD

Akira Kurosawa (Japan, 1957)Wie herrlich erfrischend ist es doch wieder, etwas derartiges sehen zu dürfen. Die alten Kurosawa-Schätze wurden ausgegraben, poliert und stehen nun zu einem so niedrigen Preis auf den Kaufhausregalen, dass mich sogar mein Döner mehr gekostet hat. Das ist natürlich sehr paradox und unverschämt und Akira dreht seine Runden im Grab, so viel ist sicher.
Noch sicherer ist aber, wie phantastisch diese Macbeth-Adaption doch ist. Immer noch. Wie immer ist es ein Kampf zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mensch und dem eigenen Ich, zwischen Mensch und Idealen und vor allem zwischen Mensch und der Natur.
Das letzte sieht man vor allem immer dann, wenn Kurosawa seine Kamera so positioniert, dass der Mensch an den Bildrand gedrängt wird, während riesige Gebirge oder endlose Wälder beinahe das gesamte Bild einnehmen. Und in diesem Film kommt noch neben dem labyrinthischen Spinnwebwald dieser dichte Nebel hinzu, und der Mensch ist vollkommen verloren. Wie die zwei Samurai, die sich bei der Heimreise schließlich verirren.Zentrale (und schönste) Szene ist natürlich die Begegnung der beiden Männer mit dem Waldgeist. Jenes alte Wesen, das in einer vom übernatürlichem Licht durchdrungenen Hütte sitzt und an seinem Spinnwebrad dreht. Furchteinflößend ist das; danach traut man sich niemals mehr in einen Wald, selbst tagsüber nicht.
Vor allem ist das eine Szene, bei der es sich unbedingt lohnt, den japanischen Originalton einzuschalten, denn die Stimme des Geistes erklingt nur dann in diesem gespenstischem Flüsterton. Sonst das übliche: die Samurai, viel Natur, der schöne Umgang mit Shakespeares Vorlage (unter anderem der Wald, der auf das Schloss zuläuft), die Machtkämpfe und sonstigen Intrigen und schon wieder eine erstaunliche Frauenfigur: auf den ersten Blick ist die Ehefrau des Samurai Washizu ganz unscheinbar und doch ist sie viel gespenstischer als das Waldgespenst selbst.
Frauen bei Kurosawa sind immer so hinterlistige Biester; starr und passiv wie ein Deko-Element, doch das Böse brodelt in ihnen; die Füchsin ist ein wahres Biest.